In letzter Zeit liest man immer mehr von Festivals, die verschwinden. Darunter sind auch einige, die schon seit Jahren aktiv waren. Wir denken darüber nach, warum das so ist und wo die Ursachen liegen könnten. Nach der Pandemie gingen viele davon aus, dass der Festivalmarkt explodieren wird. Klar oder? Die Leute müssen doch nach der Schließung der Kultureinrichtungen mega ausgehungert sein und der Run auf Festivals muss utopisch sein. Ganz so heftig war es aber leider doch nicht und die Besucherzahlen stagnierten bei vielen Festivals – oder waren sogar rückläufig. Dazu kommen in den letzten Jahren verstärkt neue und junge Festivals. Das ist auch gut so, denn die Jungen und Kreativen treiben uns Alte an und sorgen dafür, dass wir uns ständig neu erfinden und immer neue Visionen umsetzen.
Der Markt und die Zielgruppe „Festivalgäste“ wurde aber auch von den Baumärkten & Versicherungen entdeckt, und vor Allem wurde er interessant für die großen Veranstaltungskonzerne. Diese agieren nicht nur international, sondern haben die Wertschöpfungskette Festival professionalisiert. Sie haben nicht nur Festivals aufgekauft oder sich Anteile gesichert, die Ticketanbieter gehören ihnen und um das Bild rund zu machen, werden immer mehr Künstler*innen unter Vertrag genommen. Dann fährt die Marketingmaschine hoch und den Besucher*innen wird eingeredet, dass sie unbedingt Künstler*in XY sehen müssen, weil die gerade ihren total geilen, frisch produzierten Track releast haben. Natürlich spielt der*die Künstler*in diesen wahnsinnigen Track zum ersten Mal auf dem hauseigenen Festival. Und natürlich gibt es Tickets für dieses Wahnsinnsevent auch nur bei der hauseigenen Ticketbude. Und nicht vergessen, ihr müsst Euch beeilen beim Ticketkauf, weil die Preisgestaltung dynamisch ist und die Ticketpreise im Stundentakt steigen, wenn die Nachfrage da ist. So kommen dann Massenevents zustande, wo zehntausende TikTok-Raver*innen so richtig viel Spaß im Gedränge vor einer Monsterbühne haben.
Auf der anderen Seite gibt es da noch die freien Festivals. Diese werden meist kuratiert von jungen Visionären*innen, die sich bis zur Schmerzgrenze selbstausbeuten. Hier stehen keine „Monsterheadliner*innen“ auf den Bühnen, das Marketingbudget ist begrenzt und eigentlich geht es doch um das familiäre Zusammentreffen und das Abtauchen in eine Parallelwelt. Einfach mal aus den normalen gesellschaftlichen Zwängen ausbrechen. Das reicht doch eigentlich, um ein entspanntes Wochenende mit alten und neuen Freund*innen zu verbringen. Aus eigener Erfahrung, wird es immer schwerer, den künstlich erzeugten Wünschen der Besucher*innen gerecht zu werden. Durch das ausgefeilte Marketing der Festivalkonzerne, erwarten manche Besucher*innen auf den freien Festivals mega teure Headliner*innen. Dass man bei den Gagenentwicklungen dann 60% der Einnahmen für eine Künstlergage ausgeben müsste, ist erstmal egal.
Der künstlich erzeugte Trend zum Glamping aka Luxusfestival zieht durch die Szene und macht auch vor uns nicht halt. Wo unsere Besucher 2016 noch fragten, ob sie einen Spaten mitbringen sollen oder ob wir Toiletten haben, geht es heute eher um Strom für Glätteisen & Co. Aber Achtung, da Werbung natürlich bestens funktioniert, ist auch die „Geiz ist Geil“-Mentalität ordentlich in den Köpfen verankert. Vier Tage Festival mit mehreren hundert Künstler*innen, Workshops und einer Fressmeile, die schon fast an ein Food Festival erinnert, dürfen nicht so viel kosten.
Daher hier mal ein kleiner Einblick, warum auch freie Festivals Geld kosten müssen. Bei uns arbeiten z.B. 10 festangestellte Leute das ganze Jahr an der Vorbereitung des Wurzelfestivals. Inzwischen bauen wir ja eine Kleinstadt mit 10.000 Einwohnern auf den Acker und das will schon ordentlich und rechtzeitig geplant werden. Es wollen über 250 Künstler*innen ausgesucht werden, über 50 Workshops geplant werden und auch die kilometerlangen Stromkabel oder die fast 200 Toiletten müssen geplant und gebucht werden. Was waren das noch für schöne Zeiten, wo wir als Wurzelcrew einfach mit einer Anlage und ein paar Kästen Bier irgendwo gefeiert haben. Inzwischen erstellen wir 30-seitige Schutz & Sicherheitskonzepte, planen Nachhaltigkeits- und Umweltschutzmaßnahmen und schieben die Inklusion weiter an. Das sind lauter Tätigkeiten, die am Ende kein Gast sieht oder anfassen kann, die aber für ein gelungenes Festival unverzichtbar sind.
Übrigens um wieder zum Anfang zurückzukommen, wenn wieder ein freies Festival verschwindet und ihr Euch fragt, ob der Veranstalter jetzt mit Euren Ticketgeldern Porsche fährt. Liebe Freund*innen in den meisten Fällen ist das nicht so. Die traurige Wahrheit ist meist, dass das kleine Festival nicht mehr gegen die Konzerne, Baumärkte oder Ticketgiganten standhalten konnte. Dass Kosten für die grundlegendsten Dinge nicht gezahlt werden können, weil die Menschen nicht mehr gewillt sind, die Mehrkosten für solch eine Unternehmung mitzutragen. Dass jede Überstunde der Welt und alles Herzblut der Welt nichts an Preissteigerungen von bis zu 200% und an Wirtschaftskrisen ändert. Die einzigen, die diesen Festivals den Rücken stärken können, sind die Gäste. Das seid ihr. Ihr entscheidet, welches Festival ihr besucht. Ihr entscheidet, ob euer hart verdientes Geld am Ende bei einem Konzern landet, bei dem es auf ein paar hundert Tickets mehr oder weniger nicht ankommt, oder ob es bei hart arbeitenden Menschen landet, die sich alle Arme und Beine für euren Kurzurlaub ausreißen und deren größte Belohnung am Ende nicht das Geld ist (wenn überhaupt Gewinn bleibt), sondern der Moment, wenn sie in die tanzende und feiernde Menge blicken, eine*n junge*n Newcomer*in auf der Bühne sehen und die Freude in den Gesichtern der Menschen sehen. Dann stoßen Menschen wie wir heimlich auf jede Überstunde an, genießen den kurzen Augenblick – und dann laufen wir wieder los, um ein Dixi abpumpen zu lassen oder den Tickethütten Bändchen-Nachschub zu bringen, damit das Festival weiterlaufen kann und alle Gäste weiterhin eine fantastische Zeit haben.